Radiointerview zum Thema Winterblues am 12.12.2016 bei ernst.fm

Radiointerview zum Thema Winterblues am 12.12.2016 bei http://ernst.fm

Gibt es den Mythos Winterdepression?

Ja und Nein. Die Winderdepression ist kein Mythos (also Nein wegen des Begriffs „Mythos“). Und ja, weil die Winterdepression eine ernst zu nehmende Diagnose ist, die auch therapeutisch behandelt werden sollte.
Vermutlich meinst Du hier den  Begriff des „Winterblues“.

Aber generell:
Ich bin mit Krankheitszuschreibungen immer sehr vorsichtig. Diagnosen beinhalten bei uns Menschen meistens auch, dass man dann so und so ist. Und wenn wir glauben, so und so zu sein oder sein zu müssen, dann hat das auch etwas von selffullfilling prophecy, also der selbsterfüllenden Prophezeiung. Wir halten also damit die Symptome dann aufrecht oder produzieren sie erst.

Noch einmal zur Unterscheidung:

Winterdepression

Wenn die Tage kürzer und dunkler werden, verfallen manche Menschen in eine Winterdepression: Sie sind niedergeschlagen und antriebslos, haben ein extremes Schlafbedürfnis und Heißhunger auf Süßes. Die Winterdepression ist eine saisonale Depression. Jahr für Jahr beginnt sie in den Herbstmonaten, im Frühling ist sie wieder vorbei. Sie gehört damit zu den saisonal auftretenden Störungen des Gefühlslebens (SAD = seasonal affective disorder)
Damit einher gehen oft Energielosigkeit und übermäßige Traurigkeit. Man hat ein ausgeprägtes Schlafbedürfnis und meist mehr Appetit als sonst – vor allem auf Süßes.

Weitere Symptome sind:
Energielosigkeit
Allgemeine Lustlosigkeit
Unausgeglichenheit
Gedrückte Stimmung
Gereiztheit
Antriebslosigkeit
Vernachlässigung sozialer Kontakte und der eigenen Person

Winterblues:
Eine harmlosere – weil deutlich schwächere – Form ist der Winterblues. Antriebslos und missgelaunt schleppen sich die „Blues“-Betroffenen durch die dunklen Tage, richtig depressiv sind sie aber nicht. Unter Fachleuten wird diese milder verlaufende Form auch subsyndromale SAD (s-SAD) genannt.
Wie kommt es dazu?
Die körperlichen Ursachen sind kurz zusammengefaßt: Wenig Licht, viel Melatonin.
Wenn es abends dunkel wird und weniger Licht ins Auge fällt, ist das ein Signal für die Zirbeldrüse. Sie schüttet das Hormon Melatonin aus – der Mensch wird müde. Im Winter ist die Lichtintensität insgesamt ja weniger. Daher wird auch schon tagsüber mehr Melatonin ausgeschüttet.

Sehr wahrscheinlich ist auch der Neurotransmitter Serotonin an der Entstehung der Winterdepression beteiligt. Für die Produktion von Melatonin wandelt der Körper Serotonin um –  der Serotoninspiegel sinkt. Das hat Einfluss auf das Gemüt, denn Serotonin gilt als Glückshormon. Es hebt unter anderem die Stimmung bei uns Menschen. Und so fehlt dem Gehirn Serotonin, weil dieses für die Melatoninproduktion benötigt wird. Der Körper versucht, diesen Mangel auszugleichen und eine unbändige Lust auf Süßes überkommt viele Menschen, denn Zucker und einige Inhaltstoffe von Schokolade helfen den Gehirnzellen wieder, mehr Serotonin zur Verfügung zu stellen. So gerät unsere innere Uhr aus dem Takt.

Wir leiden an Müdigkeit, selbst wenn wir die empfohlenen 8 Stunden geschlafen haben und sind in der Folge energielos und können uns nicht recht aufraffen, etwas zu unternehmen.
Meist sinken auch die sozialen Kontakte, denn viele haben keine rechte Lust, das Haus zu verlassen.
Und: wir sind manchmal so richtig, richtig schlecht drauf. Das Leben ist eher ein „Ich funktioniere einfach“, als ein „Ich nehme aktiv am Leben teil!“. Passivität gegen Aktivität.

 

Was kann man dagegen tun?
Wichtig und ich sagte es bereits: Winterdepressionen müssen therapeutisch behandelt werden – bei Winterblues kann man oftmals selbst etwas machen:
Wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich eine Depression habe oder unter dem Winterblues leide, sollte ich den Hausarzt aufsuchen und das weitere Vorgehen mit ihm besprechen.

Hier einige Tipps:
oft Rausgehe, um Tageslicht zu tanken
evtl. Lichttherapie (kann auch vom Arzt verordnet werden)
Sport
Radfahren
Joggen
Langlaufen oder Skifahren
Nordic Walking
Lange Spaziergänge, besonders morgens

Es sich zu Hause gemütlich machen:
Entsprechend dekorieren
Sommer-Urlaubsfotos aufhängen
Schöne Musik hören

Den Tag mehr strukturieren, also Abläufe beibehalten – evtl. sogar noch strukturierter Dadurch lasse ich mich nicht so hängen und habe zusätzlich mehr Zeit um Aktivitäten im Freien zu haben.
Sich mit Freunden treffen
Saunabesuch oder auch mal Wellness-Oase

Wer ist betroffen?
Das kann so pauschal nicht beantwortet werden. Viele Menschen nutzen die Herbst- und Winterzeit für das „Innehalten“, das „mal bei sich ankommen“, Zeit zum Nachdenken.
Wenn ich ernsthaft darunter leide, also es sich anfühlt, wie „immer traurig, immer schläfrig, nur düstere Gedanken haben“, also mich ernsthaft krank oder in Gefahr sehe und auch die zuvor genannten Maßnahmen nicht helfen, bin ich evtl. betroffen. Dann: ab zum Arzt.

Wann bin ich betroffen und wann einfach nur „faul“?
Ich sollte überprüfen, ob sich da mein innerer Schweinehund meldet, den ich schon so lange kenne und der immer, wenn ich an die in 4 Wochen anstehende Klausur denke, mir alle möglichen Alternativen vorschlägt. Das geht dann so weit, dass ich lieber putze und mit meiner „Antifreundin“ telefoniere, anstatt zu lernen.
Wenn ich allerdings normalerweise ein total aufgeschlossener und fröhlicher Typ bin, der zumindest ab und zu gerne lernt und das längere Zeit plötzlich anders ist, sollte ich aktiv werden und mit den zuvor beschriebenen Maßnahmen anfangen. Hilft das nicht, muss ich den Arzt konsultieren.

Wie unterscheidet sich diese von einer klinischen Depression?
Allein entscheidend ist dabei, wie sehr ich unter den Symptomen leide. Das ist der Maßstab.
Es gibt für die Entstehung von Depressionen mittlerweile eine Vielzahl von Modellen, die aber, um sie näher zu beleuchten, für eine kurze Radiosendung den Rahmen sprengen würde.

Was ist gut für die Seele?
Das ist eine sehr gute Frage. Und ich möchte sie unterscheiden.:
Allgemein gilt: tue ich mir gut ? Tut mir das gut, was ich gerade lese, höre, sehe, mache ? Was bräuchte ich, damit es mir gut geht ?

Der letzte Woche verstorbene und von mir sehr geschätzte „Mose Allison“ singt in einem meiner Lieblingsstücke:
„I live the life I love and I love the live i life”. Also frei übersetzt und für mich als Frage formuliert: lebe ich das Leben, was ich liebe und liebe ich das Leben, was ich gerade habe ?
Das ist die Frage: bin ich selbstbestimmt, selbstwirksam und mir selbst bewusst ?

Für mich persönlich überprüfe ich das regelmäßig, spätestens wöchentlich:
Ich checke, ob ich mit mir im Reinen bin, an welchen Ecken es nicht passt, also, wo mein Bauchgefühl und mein Kopf unterschiedlich bewerten. Und dann steuere ich gegen, damit ich wieder ins Gleichgewicht komme.
Dazu noch ein Zitat zum Schluss von Einstein: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“

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